Die Wilton Diptych – Eine Vision des Göttlichen und der irdischen Macht!
Der Wilton Diptych, ein beeindruckendes Doppeltafelbild aus dem späten 14. Jahrhundert, gilt als eines der Meisterwerke der englischen Malerei. Er geschaffen von einem unbekannten Künstler, den wir heute gemeinhin als “Meister des Wilton Diptych” bezeichnen, bietet dieses Werk eine faszinierende Einblick in die religiösen und politischen Dynamiken des mittelalterlichen England. Die Tafel befindet sich heute in der Sammlung der National Gallery in London und zieht Besucher aus aller Welt an, die von ihrer Schönheit und dem Geheimnis, das sie umgibt, gefesselt werden.
Die Ikonographie: Ein komplexes Geflecht von Symbolen
Der Diptych besteht aus zwei Tafeln, die durch Scharniere verbunden sind. Die linke Tafel zeigt den knienden Richard II., König von England, der sich vor einem Heiligenbild mit der Jungfrau Maria und dem Jesuskind auf dem Schoß betet. Rechts davon steht der Heilige Johannes der Täufer als Schutzpatron Englands.
Die Szene ist reich an Symbolismus: Der Hintergrund des Diptychs bildet einen goldenen Grund, der die göttliche Pracht und Heiligkeit symbolisiert. Die Kleidung Richards II., inklusive seines kostbaren Mantels mit Hermelinbesatz, unterstreicht seinen königlichen Status. Seine gefalteten Hände und der ehrfürchtige Blick drücken seine tiefe Frömmigkeit aus.
Die Jungfrau Maria wird als Himmelskönigin dargestellt, in einem blauen Gewand, das mit goldenen Sternen verziert ist. Das Jesuskind auf ihrem Schoß hält ein Zepter in der Hand, ein Symbol seiner göttlichen Autorität. Der Heilige Johannes der Täufer trägt ein Lammfellkleid und hält eine Kreuzesfahne – Symbole für seine Rolle als Vorbereiter des Christus.
Der politische Kontext: Ein König sucht göttliche Legitimation
Der Wilton Diptych ist nicht nur ein religiöses Kunstwerk, sondern auch ein politisches Dokument. Richard II. regierte England in einer Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche. Seine Herrschaft war von Machtkämpfen mit dem Adel geprägt und er suchte nach einer Möglichkeit, seine Autorität zu festigen.
Durch die Darstellung als frommen Verehrer der Jungfrau Maria und des Jesuskindes versucht Richard II., seine göttliche Legitimation zu unterstreichen. Die Anwesenheit des Heiligen Johannes der Täufer, des Schutzpatrons Englands, verstärkt diesen Anspruch auf den Thron.
Stilistische Besonderheiten: Eine Fusion aus französischem und englischem Einfluss
Der Wilton Diptych zeigt eine bemerkenswerte Kombination stilistischer Elemente, die sowohl französische als auch englische Einflüsse widerspiegeln. Die detaillierte Darstellung der Figuren und die reiche Ornamentik erinnern an die Kunst der französischen Hofmalerei, während die naturalistische Darstellung von Landschaften und Architektur typisch für die englische Malerei dieser Zeit ist.
Die leuchtenden Farben, insbesondere das Blau des Mantels Marias und die Goldverzierungen, erzeugen einen Eindruck von Pracht und Glanz, der dem Königshaus gerecht werden sollte. Die feingliedrigen Pinselstriche zeigen die hohe handwerkliche Fertigkeit des Künstlers.
Offene Fragen: Wer war der Meister des Wilton Diptych?
Trotz seiner Bedeutung bleibt der Künstler, der den Wilton Diptych schuf, unbekannt. Dieser Umstand trägt zur Faszination des Werks bei und hat zu vielen Spekulationen über seine Identität geführt.
Einige Kunsthistoriker vermuten, dass es sich um einen italienischen Künstler handelte, der im Dienst von Richard II. stand. Andere glauben, dass der Künstler ein Engländer war, der sich von französischen Malern inspirieren ließ.
Die Frage nach dem Künstler wird wahrscheinlich für immer ungelöst bleiben, aber das Werk selbst spricht für sich. Der Wilton Diptych ist ein Meisterwerk der mittelalterlichen Kunst, das uns Einblicke in die religiösen, politischen und sozialen Gepflogenheiten des 14. Jahrhunderts England bietet. Er ist ein Zeugnis der menschlichen Sehnsucht nach spiritueller Erfüllung und göttlicher Legitimation – Themen, die auch heute noch relevant sind.